Mittwoch, 19. August 2015

6. Dänemark

... und das Südzipferl von Schweden


Wir fahren westwärts, erkennen nördlich die Vororte von Malmö. Sind jetzt auf der E20, der Europastrasse Nr. 20, die über 1880 Kilometer das russische St.Petersburg mit Irland verbindet (ein bisschen Schwimmkünste zwischen dem dänischen Esbjerg und Großbritannien vorausgesetzt). Schon von weitem erkennen wir die (206 Meter hohen) Pylonen der Brücke, die uns über den Öresund nach Dänemark bringen wird.




Für die längste Schrägseilbrücke der Welt zahlen wir auch ziemlich rekordverdächtige Maut. € 52.- kostet die Überfahrt für uns zwei Personen, eine schmächtige Ente und einen Wackeldackel. Für 7845 spannende Meter über und gleich danach 4050 monotone Meter unter dem Meer. Als wir aus dem Drogdentunnel ausfahren, landet gerade ein Flugzeug auf dem unmittelbar benachbarten Flughafen Kastrup. Wir sind in Dänemark, ins Zentrum von Kopenhagen sind es nur mehr zwanzig Minuten.

...


Tivoli-Highlight "Rutschbanen"

Beim Anstellen habe ich Zeit, die Unterschiede zur Wiener Hochschaubahn zu erkennen: vor allem gibt es im Prater selten Warteschlangen. Und während es bei uns wahrscheinlich aus Einsparungsgründen keine Kassa, nur einen Mitarbeiter und einen, sagen wir einmal salopp gekleideten Bremser gibt, erinnern im Tivoli die  zahlreichen Wikingerburschen in ihren Lederhosen und rotkarierten Hemden fast unaufdringlich an Schweizer Bergführer. Gottseidank jodeln sie nicht. In Wien bringt eine gemütlich-monoton klappernde Kette das Gefährt langsam nach oben, in Kopenhagen zieht uns ein Drahtseil flott bergauf. Die Wiener Hochschaubahn ist sozusagen die niedliche, harmlose, sanfte und kindergerechte Version der historischen Holzachterbahnen, der „scenic railway roller coaster“. Die Rutschbanen in Kopenhagen ist die lebhaftere, steilere, schnellere. Im Tivoli gibt es die Illusion der Schweizer Bergwelt, im Prater sehe ich live zum Biergarten des Schweizerhauses.

Mehr Kopenhagen ...folgt in Kürze

Wir verlassen die Hauptstadt früh. Nach einer halben Stunde, wir kommen auf der E47 trotz riesiger Baustellen zügig voran, beginnt ArgENTa auf einmal nach rechts zu ziehen.  Ich steuere dagegen, sage vorerst nichts zu Lore. Doch der Zug nach rechts wird stärker, unangenehm, da wir auf eine Gabelung zusteuern. Wir wollen nicht direkt nach Deutschland, auch unser Navi weist uns an, geradeaus auf der E20 zu bleiben. Doch ich verstehe langsam: rechts geht es auf die E55, die kürzeste Verbindung von Kopenhagen nach Hamburg. Das ist die „Vogelfluglinie“. Unsere domestizierte Motorente wollte instinktiv der Route abertausender Wildenten (und ein paar Kranichen etc.) folgen.

Wir erreichen die nächste Riesenbrücke und bezahlen an der Mautstelle im Vergleich zur Öresundbrücke fast schon günstige € 33.-. Sind auf dem ersten, 6790 Meter langen Abschnitt der beeindruckenden, insgesamt 18 Kilometer langen Verbindung über den Großen Belt (Storebaelt). Das ist die längste Hängebrücke Europas, die drittlängste der Welt. Bis zu siebzig Meter über dem Meer. Da spürt die zarte Ente den von links kommenden Wind besonders heftig und muss gegen Böen, die uns gleich einmal auf den Pannenstreifen verblasen, ankämpfen. Die mächtigen Pylonen, imposante 254 Meter hoch, durchfahren wir lässig, leicht schlingernd. Von den 30 000 Fahrzeugen, die täglich die Storebaeltsbroen passieren, ist gerade nicht viel zu sehen.





Im Westen der Insel Seeland (dänisch: Vjestsaelland) gibt es ein paar kleine Inseln. Die bekannteste ist Sprogo, die wir jetzt ansteuern. Dort verbinden sich die östliche Hängebrücke und die westliche Straßen- und Eisenbahnbrücke. Bei gemächlicher Annäherung an den grünen Inselzwerg - der starke Seitenwind erlaubt uns nur mehr höchstens 60 Stundenkilometer - erkenne ich zuerst die rechts von mir auftauchenden Bahngleise. Hier enden die zwei über acht Kilometer langen Tunnelröhren unter dem Meer, ab Sprogo fährt die Bahn oberirdisch und direkt neben der Autobahn auf der Westbrücke. Links erkenne ich einen alten Leuchtturm, dahinter ein paar Gebäude zwischen Bäumen.

Insel Sprogo

Wikipedia schreibt, dass sich hier in den Jahren 1922-1961 ein „sogenanntes Heim für unangepasste Mädchen“ befand. Was mich natürlich neugierig macht. Auf der offiziellen Vjestsaelland-Tourismuswebseite wird zum Besuch der früheren „Anstalt für moralisch defekte Frauen“ eingeladen. Das klingt jetzt schon eigenartig. Als ich mich etwas näher damit befasse, stoße ich auf ein ganz dunkles Kapitel der dänischen Geschichte. Das „Heim“ war ein Lager für als physisch krank oder geistig behindert eingestufte Mädchen und junge Frauen. Oder wie es der damalige Anstaltsleiter Keller ausdrückte: für  „leicht debile Frauen, deren erotische Ausstrahlung eine wesentliche Gefahr für die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten" darstellte. Daraus folgten Isolierung und Zwangssterilisierung. Schreckliche Schicksale, schlimmste Verletzung der Menschenrechte. Bis 1961!! Ein Thema, das leider auch heute, nicht nur in Dänemark, noch immer nicht ausdiskutiert und abgeschlossen ist. Die Spiegelgrund-Kinder der Wiener Steinhof-Anstalt fallen mir ein. Ich vermeide den Blick in den Rückspiegel, vor mir liegen 6611 stürmische Meter Westbrücke. Dann sind wir auf der Insel Fünen.

Wir müssen tanken, gerade soviel, um bis ins benzinpreislich günstigere Deutschland zu kommen. In der Autobahnstation nahe Voldby sammle ich wie üblich einige touristische Prospekte ein. In denen Lore während der Weiterfahrt dann reichhaltige, überzeugende Informationen über das knapp vor uns und an der Meerenge des Kleinen Belt (Lillebaelt) liegende Städtchen Middelfart entdeckt (hochprofessionell in dänisch, englisch und deutsch). Das, nach eigenen Angaben, Naturparadies und „Mekka für Wassersportaktivitäten und maritime Erlebnisse der Spitzenklasse“. Man kann hier Angeln, Tauchen, Paddeln und sogar den Schweinswal beobachten.  Wenn man will, auch in Buchenbaumkronen übernachten. Es gibt ein modernes „skulpturales“ Kulturhaus (Originalprospekttext). Wir haben bereits 180 Kilometer hinter uns und sind weit vor dem eigentlich nicht existierenden Zeitplan (siehe Einleitung: Müßigfahrer). Freuen uns, einen spontanen Mittagsstopp am Kleinen Belt und am kleinen Hafen von Middelfart einzulegen.

Unser Navi bringt uns in die Havnegade (Hafengasse), direkt zum Kai. Volltreffer, vor uns liegt der überschaubare, alte Hafen. Wir sehen einige ankernde Yachten und Motorboote, die Ablegestelle der Ausflugsschiffe (und lesen: „der Skipper gibt Walgarantie/hvalgaranti“). Werden von fünf, fast unbeweglich auf einer Holzbank sitzenden Seebär-Pensionisten beobachtet. Alle haben einen mehr oder weniger grauweißen Bart und eine Mütze auf. Aber vor allem entdecken wir einen freien Tisch und Bänke direkt am Wasser. Feiern dies spontan mit einer Dose Bier. Gleich dahinter entdecke ich einen kleinen Laden, das „Fiskehuset“. Mit einem riesigen Angebot an Fischen und Meeresfrüchten, alles „frisk“. Kein Wunder, der Lillebaelt ist eines der besten Gebiete für Küsten- und Meeresfischerei in ganz Dänemark.

 
 

Auch Nordseegarnelen sehen wir. Verpackt. Auf dänisch heißen sie Rejer. Wir sind uns aber einig: hier ist der ideale Platz, um uns endlich selbst ein Krabbenweckerl zu bauen. Es gibt keine Sprachschwierigkeiten beim Kauf von 15 dkg frischen, abgekochten, aber ungeschälten Nordseekrabben, einem Dänenweckerl (das nicht ganz so knusprig wie die meisten Friesenbrötchen war) und ein paar marinierten Chiligarnelen. Wir sitzen am Yachthafen, und schälen unsere Krabben selbst (an Ost- und Nordsee sagt man dazu „pulen“).  Naja, und ein passendes Getränk dazu haben wir zufällig auch im Kofferraum. Wir öffnen die letzte Flasche unseres aus Wien mitgenommenen Grünen Veltliners, der durch die Kühltasche eine gerade noch akzeptable Trinktemperatur hat. Die Blicke der fünf Seebären schwanken zwischen neidisch und bewundernd. Diese Pause in Middelfart >>> hat mich für die total fehlenden Fisch/Krabben-Erlebnisse in Kopenhagen mehr als entschädigt.
 

Bei der Weiterfahrt überqueren wir den Lillebaelt über die alte Brücke und sehen durch das offene Entendach ganz oben (ca. 60 Meter über dem Meer) eine kleine Personengruppe im Overall auf einem schmalen Geländer. Sydney lässt grüßen. Hier ist angeblich die einzige Möglichkeit zum „Bridgewalking“ in Europa, erst vor drei Monaten eröffnet. Doch auch unser Ausblick, auf‘s Meer, die neue 1700 Meter lange Lillebaelt-Brücke, auf ein paar Schiffe, ist nicht ohne. Wir schaffen das Panorama im Gegensatz zu den Brückenkletterern ober uns ohne Adrenalinschub, verlassen Fünen und erreichen wieder den Kontinent. ArgENTa betritt schwungvoll wie immer und erstmals Jütland.

Bald verlassen wir die E20, fahren südwärts auf der E 45. Bei der Ausfahrt Kolding will uns unser Navi nicht noch mehr dänische Autobahn-Disziplin und –Monotonie zumuten und schickt uns auf die Landstraße. Weiter südöstlich würden wir auf die Ostseeregion von Schleswig-Holstein treffen, die wir aber aus Zeitgründen diesmal nicht besuchen können. In Flensburg war allerdings schon einmal mein Führerschein vier Wochen auf Urlaub. Kiel hätte mich interessiert, auch Lübeck. Für mich besonders spannend: in dieser Gegend wurde der Weltfischbrötchentag erfunden, der heuer im Mai bereits zum fünften Mal gefeiert wurde. Dabei werden unzählige Weckerlvarianten mit Hering, Aal und Heilbutt verkauft (ein Teil des Erlöses wird an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger gespendet). Und nicht wirklich eine Überraschung: mit Angelika und Jan Malte wurde auch ein Fischbrötchenkönigspaar gekürt. Da kann Tanja, unsere Bundesweinkönigin aus dem Weinviertel, fast einpacken. Wie die Majestäten heute, Anfang August, riechen, möchte ich mir nicht vorstellen.

Wir wenden uns ab. Biegen ab, nach Südwesten, Richtung deutsche Nordseeküste. So alleine waren wir während dieser Reise noch nie unterwegs. Höhepunkt ist das Überholen eines Traktors, dem wir durch das aufgeklappte Dach (das angesagte Schlechtwetter ist ausgeblieben) zuwinken.  Wir sehen nur Felder und Felder. Ab und zu Dörfer symbolisierende, ziegelrote und weißgetünchte Häuser, viele mit  typischen Schilfrohrdächern. In Nordfriesland nennt man sie Reethäuser.

Unser nächstes Etappenziel ist Tondern (dänisch: Tonder).  Die kleine Stadt liegt nur ein paar Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Zu unserer heutigen Unterkunft, einem Landgasthaus nahe der kleinen Siedlung Rodenäs, sind es nur mehr 15 Kilometer. Tondern entpuppt sich als überraschende Perle. Sie erhielt bereits 1243 (deutsches) Stadtrecht, ist damit heute die älteste Stadt Dänemarks. Sie hat zahlreiche hübsche Patrizierhäuser, enge Gassen und viele Läden. Im 17.Jahrhundert war Tondern weltweit das Zentrum der Spitzenklöppelei. Das Zeppelin-Museum erinnert daran, dass hier auch eine bedeutende Luftschiffbasis im 1.Weltkrieg war. Doch es wird noch vielfältiger: als wir, durstig wie öfters, eine kurze Pause im Schanigarten des „Klostercafeen“ vor der alten Kristkirke einlegen, erzählt uns der Kellner, dass bei ihm und anderen Restaurants schon unzählige Hochzeitsfeiern stattgefunden haben. Bis zu 3000 ausländische Ehen werden pro Jahr hier auf Grund reduzierter und unbürokratischer Formalitäten geschlossen. Tondern ist damit ein Hochzeitsparadies, ähnlich dem (unserem) schottischen Grenzort Gretna Green. Auch mit gleich hohen Bierpreisen. 


Zum Kapitel 7 - nach Norddeutschland   >>>

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen