Mittwoch, 19. August 2015

7. Deutschland Nordsee



Ich will die Ente nicht zu sehr dem hohen, korrosionsfördernden Salzgehalt der Nordseebrisen aussetzen. Daher fahren wir ab dem nahen Bahnhof Klanxbüll mit dem Zug der NOB (Nord-Ostsee Bahn; "Sylt Shuttle"aus Hamburg kommend  >>>), der uns in einer halben Stunde über den Hindenburgdamm nach Westerland, den Hauptort der Insel, bringt. Als wir den Bahnhofsvorplatz betreten, wissen wir, dass der Wind unser heutiger Begleiter sein wird. Solange es kein Gegenwind ist...



Gleich neben dem Bahnhof mieten wir zwei E-Bikes (um akzeptable € 20.- pro Rad). Für mich eine Premiere: ich bin noch nie elektrisch geradelt. Die Technik scheint kompliziert, doch ich lerne schnell. Wenn man die Revolverschaltung eines 2cv beherrscht, schafft man auch die LCD-Konsole am Lenker. Wir fahren los, Richtung Strand. Mein Rad startet flott, die Leute mustern mich. Nicht wirklich begeistert oder anfeuernd. Naja, eben norddeutsch unterkühlt. Ich merke etwas spät: wir sind in der Fußgängerzone.

Eigentlich wollten wir von Sylt direkt nach Hamburg. aber da stieß ich auf den Blog meines Freundes und Reisejournalisten Karl-Heinz Jeller „Ferien im Wattenmeer“ (>>>). Auf seine „zehn grünen Palatschinken“, die von den Gezeiten und Sturmfluten gebeutelten „Halligen“-Inseln. Sein Bericht machte uns neugierig auf diese eigenartigen Marschland-Aufschwemmungen, auf noch mehr Wattenmeer und nordfriesische Küste. Als typisch mitteleuropäischer Vertreter eines Bergvölkchens (mit ausgeprägter alpiner Praxis – also Hütten- und Heurigenbesuche zwischen Kahlenberg, Leithagebirge und Hohen Tauern) reizt mich natürlich die Besteigung einer nördlichen Warft und eine kleine Jause auf der Bergstation. Und als Entenfreund lechze ich schon lange nach einer freundschaftlichen Begegnung mit der auf den Halligen vorkommenden Brandente. 

Die Palatschinkenfähre startet bereits um 09.15, somit müssen wir unseren Gasthof früh verlassen. Doch die Wirtin schafft es, uns rechtzeitig ein richtiges Frühstück und eine fast richtige Abrechnung vorzubereiten. Über das uns schon vertraute Klanxbüll, dann Niebüll und Bredstett, erreichen wir die Küste und zeitgerecht den kleinen Hafen von Nordstrand. Hier gibt es bereits den ersten Höhepunkt des Tages: ich bin sicher der erste 2cv-Pilot, der in Strucklahnungshörn – ich wiederhole: Strucklahnungshörn – stoppt. Die Fischbrötchenbude am Ableger („Letzter Fischimbiß vor der Insel Pellworm“) wird vorerst noch ignoriert. 

Hooge in Sicht
Der Adler hat mehr PS als die Ente...
Strucklahnungshörner Fischbrötchen 
Wir wechseln von unserer Ente auf einen anderen Transportvogel, besteigen den „Adler Express“, unser Fährschiff nach Hooge, der „Königin der Halligen“. Drei Busse auf dem Parkplatz haben es uns schon ahnen lassen: das Schiff ist voll. Mehrere Seniorengruppen streiten sich um die windgeschützten Sitzplätze im Inneren und um die Marmeladeportionen des im Ausflugspauschalpreis inkludierten Seemannsfrühstücks. Wir lassen uns auf dem offenen Schiffsheck nieder, genießen Aussicht, Sonne, Möwengeschrei. Mein Puls bleibt stabil: die Nordseeluft bringt zwar den Kreislauf in Schwung, doch der unstarke Kaffee an Bord gleicht dies sofort aus.

Das Schiff kann im Wattenmeer nur in den früheren Flussrinnen fahren, die Priel genannt werden, sonst ist das Wasser überall zu seicht. Während der Überfahrt lernen wir: Hallige sind eigentlich keine richtigen Inseln, sondern erdgeschichtlich junge Aufschwemmungen. Hier im Wattenmeer von Schleswig-Holstein gibt es zehn. Wir passieren zuerst Pellworm, dann die  winzige Hallig Gröde und hören, dass die einzige Schule (für vier Schüler) vor zwei Jahren schließen musste. „Unsere“ größere Hallig Hooge nähert sich, deutlich kann man die Häuser auf den Warften (ca. 5 Meter hohe künstliche Aufschüttungen als zusätzlicher Hochwasserschutz) erkennen. 
 
 
 



Wir kommen pünktlich an, haben nun etwa drei Stunden Zeit, Hooge zu erforschen. Wir zahlen unseren Touristenbeitrag, einen Halligtaler (zufällig ist der Kurs zum Euro heute 1:1) und verzichten auf die zur Hallig-Rundfahrt bereit stehenden Pferdekutschen und günstig anzumietenden Fahrräder. Bei der Wanderung zur Hauptwarft der „Insel“ verspüre ich ein ganz leichtes Ziehen im rechten Knie. Eine Erinnerung an die gestrige Radtour? Hoffentlich beeinträchtigt mich dies nicht nachmittags beim Bremsen, wenn ich wieder einmal die Urkräfte des 2cv zügeln muss.


Wir spazieren an der kleinen Häusergruppe der Backswarft vorbei, unser Ziel ist die bedeutendste, die Hanswarft. Noch bevor die Pferdekutschen von der Besichtigung der Kirchwarft ankommen, haben wir schon einen Orientierungsrundgang gemacht. Und lassen uns fast erschöpft im Garten des Gasthauses „Zum Klabautermann“ nieder. Umgeben von Blumen und Reethäusern. Zeit für einen Halligen-Frühschoppen. Mit einem Bier und – Abwechslung muss sein – mit einem von der Wirtin in charmantem Plattdeutsch überreichten Krabbenbrötchen.


Die Kaffeetasse hat sich irrtümlich ins Bild geschlichen


Wir erreichen pünktlich das Festland. Haben für unsere Fahrt nach Hamburg-Altona mit rund 3,5 Stunden mehr als ausreichend Zeit. Falls es keine Unfälle und Staus gibt. Daher treibe ich unsere Ente ein bisschen mehr als geplant an, nutze auf der Landstrasse auch öfter den schon fast als „Overdrive“ zu bezeichnenden 4.Gang. Wir sehen ein letztes Mal das Wattenmeer, bedauern bei der Durchfahrt von Husum, keine Zeitreserve mehr zu haben. Gerne hätten wir die alte Innenstadt und das Theodor Storm-Haus besucht. Und im stimmungsvollen alten Hafen, den wir vom Auto aus sehen können,  ein Krabbenbrötchen probiert. 

Doch wir müssen weiter. Die Ruhe ausstrahlende Nordfriesenlandschaft, der Fahrtwind und das tiefe Brummeln der 28 PS lassen aber keinen (Zeit)Druck aufkommen. Rechts geht es nach Büsum. Von dort stammen die Krabben, die ich im ersten Brötchen unserer Reise in Warnemünde gegessen habe.  Erst neun Tage her, aber eine subjektive Ewigkeit. Der Ort nennt sich „Tor zum Wattenmeer“. Mit breitem Strand, Uferpromenade und bei Ebbe (wir wissen seit gestern: mittags) ein Paradies zum Wattspaziergang (>>>) Fast unmerklich geht nahe der Stadt Heide die Landstraße in die A 23 über. Rund 90 Kilometer düsen wir nun auf der teilweise recht dicht befahrenen Autobahn nach Hamburg. Nachdem ich ja relaxt und bei unserem Tempo nicht richtig gefordert bin, habe ich auch Gelegenheit, die langsam vorbeiflitzenden Verkehrstafeln und Ortsschilder näher zu studieren. Ich entdecke die Ausfahrt nach Wacken. Nur fünf Kilometer von hier liegt diese kleine Ortschaft, in der sich vor genau einer Woche 80 000 Heavy Metal-Fans trafen und im Schlamm (dieselbe Regenfront, die wir in Stralsund und Ahlbeck hatten) versanken. Und ich stoße auf leicht irritierende Ortsankündigungen wie Brunsbüttel und Kaaksburg. Durch das aufgeklappte Dach der Ente dringen aber höchsten ein paar Düngerwölkchen von den nahen Feldern…

Zwei Höhepunkte habe ich in Erinnerung: die Fahrt über die 56 Meter hohe Brücke Hohenhörn, die uns über den Nord-Ostsee-Kanal führt. Dieser fast 100 Kilometer lange, spektakuläre Wasserweg, der die Ost- mit der Nordsee verbindet, erspart den Frachtschiffen einen fast 500 Kilometer langen Umweg über Dänemark. Locker überfliegt unser 2cv-Dreamliner zwei Hochseeschiffe unter uns. Irgendwie ein Abschied von zwei Meeren, die wir während der letzten zehn Tage kennengelernt haben. Das zweite Highlight: erstmals während der Reise überhole ich einen BMW. Er ist irgendwie hellgiftgrün, das Schiebedach des Coupes ist geöffnet. Der Fahrer hat die Geschwindigkeit an sein Alter angepasst. Er fährt 70, damit seine (im Vorbeifahren deutlich erkennbar gefärbten) rotbraunen Locken im Fahrtwind nicht zu sehr in Unordnung geraten. Ich bin sicher: das wird für heute, für 2015, wohl der einzige überholte BMW bleiben.


Wir haben Glück, größere Baustellen und Staus gibt es nur auf der Gegenfahrbahn. Wir erreichen die Elbmetropole flott und problemlos. Unser Navi dirigiert uns zum nahen Bahnhof Altona, wo wir um 17.30 unsere ArgENTa  - natürlich unter anerkennenden bis begeisterten Blicken der Mitarbeiter und Mitreisenden - bei der DB-Autozugstelle abstellen.

Wir kennen Hamburg und wollen eigentlich nur Jochen, langjähriger Freund und Reisebürokollege, treffen. Und haben für das Wiedersehensbier – nicht ganz uneigennützig – das Hardrock Cafe an den St.Pauli-Landungsbrücken vorgeschlagen. Diese liegen auch nicht weit von Altona, wo wir ab 19.45 unsere Ente  auf den Zug verladen müssen. Da wir für das Treffen etwas zu früh dran sind, stoppen wir unser Taxi schon vor Brücke 10. Denn da ist noch die kulinarische Empfehlung eines anderen Freundes, Reisejournalist und 2cv-Gefährte in Kambodscha, Claudius Rajchl, der uns den wohl meist publizierten Geheimtipp verraten hat: die Fischbrötchenbude auf der Landungsbrücke 10 (>>>) Sie ist nur angenehme 300 Meter (bzw. vier Landungsbrücken) vom Hardrock entfernt.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen